Nachbericht Rockavaria 2016 München von Mick und Steiff

Tag 1
J.B.O.
Dass sich J.B.O. selbst nicht so ernst nehmen und diese Stimmung auch auf das Publikum übertragen, passt als Einstieg in den ersten Festivaltag ziemlich gut ins Bild. Bei fantastischem Wetter und ordentlichen Temperaturen haben sie die noch nicht ganz voll besetzten Reihen gut im Griff und schaffen es, die zweite Auflage des Münchner Rockfests am Freitagnachmittag mit einem prächtigen Donnerschlag in Pink zu eröffnen. Der Fun Metal der Franken kommt gut an und die Festival-Besucher sind damit gut auf das restliche Programm des Tages eingestimmt.

Powerwolf
Bei Powerwolf wird es dann dramatisch und theatralisch. Das grelle Tageslicht und die hohen Temperaturen lassen das düstere Corpsepaint und die Bühnenoutfits der fünf Musiker etwas deplatziert aussehen und dadurch geht viel der typischen Powerwolf-Atmosphäre verloren. Doch ringen uns die erschwerten Rahmenbedingungen den höchsten Respekt ab. Wie muss es erst den Musikern gehen, wenn wir schon halb am kollabieren bin? Alles in allem geht das Publikum gut mit und die Band lässt sich auch nicht durch den einsetzenden Soundcheck auf der Nachbarbühne irritieren.

Suicidal Tendencies
Schon bevor Suicidal Tendencies AUF die Bretter geht, kann man die steigernde Spannung VOR der 2. Doppelbühne spüren. Standen bei J.B.O. der Fun und bei Powerwolf der Pathos im Vordergrund, ist es bei Suicidal Tendencies ganz klar der reudige Straßen-Spirit, der über der Performance schwebt. Auf der Bühne wird dann wie erwartet malocht und geschwitzt und das Publikum mit authentischen Ansagen bei Laune gehalten. Der Skate-Punk-Crossover-Hardcore-Thrash der Jungs aus Venice Beach animiert die Anwesenden in der Arena auch zu den ersten Circle Pits und natürlich darf auch die berüchtigte Wall Of Death nicht fehlen. Mit Dave Lombardo hinter den Kesseln (der sich den ein oder anderen Slayer-Double-Bass nicht verkneifen kann) hat die Performance der Bandana-Bande richtig Druck. Das erste richtige Highlight des noch frühen Tages.

Apocalyptica
Schon zu Ende des Suicidal-Sets haben auf der anderen Hauptbühne Apocalyptica Stellung bezogen. Metal meets Cello! Ähm, mit Apocalyptica ist das so ne Sache. Auf Konserve lässt sich der Sound der Finnen gut nachvollziehen und macht sicher auch Spaß. Live ist deren Cello Metal bzw. Rock aus unserer Sicht nur bedingt tauglich…zumindest in diesem Rahmen. Den Fans gefällt der energiegeladene Auftritt trotzdem, bei dem sowohl Klassiker von Edvard Grieg („In der Halle des Bergkönigs“) als auch Metallica-Klassiker durch den Cello-Wolf gedreht werden.

In Extremo
Ohne Pause und direkt nach Apocalyptica geht es mit Mittelalter-Rock von den in Deutschland längst etablierten In Extremo weiter. Die Band um Sänger Michael Robert Rhein schafft es locker, die Stimmung im Publikum hoch zu halten und die Meute mit dem neuen Song „Sternhagelvoll“ zum Schunkeln zu animieren. Auch Nummern wie „Mein rasend Herz“, „Horizont“ und „Frei zu sein“ treiben die Stimmungspegel weiter in die Höhe. Auch das Bühnenbild (mit einem in der Mitte der Bühne platzierten Wikingerschiff) und Show-Elementen wie eine Konfettikanone und Feuerfontänen sorgen für zusätzliche Schmankerl und große Augen. Alles in allem ein alle Sinne ansprechender Auftritt der Berliner.

Dog Eat Dog
Abseits der Arena, im Schatten des großen Olympiastadions, macht sich (überschneidend zu den Auftritten zu In Extremo und Nightwish) auf der Seebühne eine Truppe an, locker den Tagessieg einzufahren. Die Könige des Crossover….Ladies and Gentleman: Dog Eat Dog! Das Rund vor der Seebühne ist sehr gut gefüllt, die Fans sind textsicher und es wird gehüpft, was die Knie hergeben. Dog Eat Dog stehen für ein Genre, das eigentlich ausgestorben ist aber sie sind genial wie zu ihren Anfangstagen in den 90ern. Mit ehrlichem Groove, Saxofon, authentischem Hardcore-Punk (inklusive Rocky-Hommage) gehen die Crossover-Veteranen (die Ihre Songs gerne mit Hip-Hop-Elementen anreichern) in die Pole Position. Und wie sagte John Paul Luke Connor (der Sänger von Dog Eat Dog) so treffend am Ende des Auftritts: „We are not the most metal, we are not the most…everything. But when we are on stage, we have the most fun!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Unser persönlicher Favorit des ersten Festival-Tages und ein absolutes Highlight.

Nightwish
Höhepunkt in Sachen Opulenz und Lautstärke war zum Abschluss des Tages dann Nightwish. Der Freitag-Headliner um Sängerin Floor Jansen begeisterte mit bombastischer Pyroshow und orchestralen Arrangements. Und das, was die Finnen auf die Bühne bringen, funktioniert auch nur im ganz Großen. Es ist eine gigantische Vorstellung, die auf die Bühne gezaubert wird. Zudem ist die Sängerin nicht nur hübsch anzusehen, sie kann auch richtig gut singen. Dem anwesenden Publikum gefällt’s überaus gut. Auch wenn unser persönlicher Favorit an diesem Tag (hatten wir das schon erwähnt?) ganz klar Dog Eat Dog sind.


Tag 2
Sodom
„Wir sind Sodom aus’m Ruhrpott“. So begann unser zweiter Festivaltag. Und Sodom (recht kurzfristig auf’s Billing gerutscht) legten auch gleich los wie die Feuerwerk und machten erwartungsgemäß keine Gefangenen. Ein Klassiker nach dem anderen wurde ins Rund gehauen und auch ein neuer Song vom im August erscheinenden Album hatte es auf die Setlist geschafft. Als die ersten Regentropfen vom Himmel fielen, konnte man bange Blicke vor und auf der Bühne beobachten. Doch dieser Umstand wurde von Zeremonienmeister Tom Angelripper mit den Worten „Jetzt kommt die Scheiße auch noch raus.“ kommentiert und damit auch umgehend und unmissverständlich wegdiskutiert. Denn wenige Minuten später zeigte sich das Münchner Wetter (für den Rest des Tages) wieder von seiner schönen Seite. Laut eigener Aussage der Band hatten sie einige Bedenken, ob sie überhaupt in dieses Festival passen. Und wie! Die Meute frisst der Band aus der Hand und startet den ersten Circle Pit des Tages. Auch Crowdsurfer hatten das erste Mal an diesem Samstag ihren Spaß. Mehr davon!

Garbage
Bei Garbage wird es dann das erste Mal so richtig voll vor der Bühne, was wir so ehrlich gesagt nicht erwartet haben. Die Alternative-RockerInnen scheinen immer noch eine Menge Anhänger zu haben. Star der Band ist eindeutig Sängerin Shirley Manson, die sich optisch mit rosa Haaren, Netzstrümpfen und Leoparden-Kleidchen deutlich von ihrer männlichen Instrumentalfraktion absetzt. Ganz in schwarz gekleidet halten sie sich brav im Hintergrund und überlassen der farbefrohen Amazone bereitwillig die Bühne. Bei ihrem ausufernden, leicht psychedelisch wirkenden und lasziven Stage-Acting wird ein ums andere Mal der ebenfalls leopardengemusterter Schlübber in Szene gesetzt (Absicht?). Kein Dreck im Sound, nix zum ausrasten. Aber dem Publikum gefällt’s, die Songs kommen gut an. Alles gut.

Gotthard
Haben wir gesagt, bei Garbage war es voll vor der Bühne? Das war gelogen, weil voreilig. Bei Gotthard war es voll. Mensch, war das voll. Und wer befürchtete, die Schweizer würden auf Hausfrauen-Balladen-Schmuse-Hard Rock-Nummer-sicher gehen. Falsch! Natürlich spielen die Eidgenossen keinen Death Metal. Dafür aber gut gemachten Hard Rock, der Spaß macht und in die Beine geht. Sänger Nic Maeder sieht aus wie der junge Jon Bon Jovi und singt wie Claus Lessmann in seinen besten Tagen; und das meinen wir ganz ironiefrei. Im Gegenteil. Er setzt die Nummern gekonnt in Szene und interagiert professionell und gekonnt mit dem Publikum. Gotthard überzeugen. Nur eines: Es ist die erste Band der ersten beiden Tage, die signifikant überzieht. Dabei sollten sich die Schweizer mit Pünktlichkeit doch auskennen.

Gutterdämmerung
„Gutterdämmerung“ (der gar nicht mal so stumme "lauteste Stummfilm der Welt") feiert beim Rockavaria seine offizielle Deutschlandpremiere. Eine Kombination aus Trash-Film mit sehr opulenten Bildern und einem Rock-Konzert.

Zur Geschichte:
Punk-Engel Vicious (Iggy Pop) wirft die sog. „Gitarre des Bösen“ auf die Erde, um die Menschen von Ihrer Langeweile zu befreien. Das provoziert einen Streit, ob Rock ‘n’ Roll Erlösung oder Sünde sei. Henry Rollins (der im Film den Inquisitor mimt) versucht mit allerlei Gedöns diesen Umstand zu ändern, sprich, diese Gitarre wieder loszuwerden. Während der Spielzeit bekommen allerlei Rockstars ihren mehr oder weniger kleinen oder großen Auftritt (Lemmy, Slash, Nina Hagen & Grace Jones). Ehrlich gesagt wirkt die Handlung ein bisschen zerfahren und die Geschichte gibt recht wenig her für einen Film in abendfüllender Länge.

Dass die 75 Minuten doch noch Spaß machen, liegt an der Begleitband, die den Soundtrack zum Film live performt. Songs von Black Sabbath, Led Zeppelin, Motörhead und The Doors werden zum Besten gegeben und mit einer Menge Hingabe zum Leben erweckt. Den Reaktionen nach zu urteilen ist das Publikum zwiegespalten. Aber dies war definitiv ein mutiges Experiment, das von uns an dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt werden soll.


Tag 3
Anthrax
So starten wir also erst mit Anthrax musikalisch in den Tag. Dafür aber von der Side Stage (Mick). Sehr fein. Die New Yorker betreten die Bretter vor einem sehr gut gefüllten Stadion und zocken sowohl alte Klassiker (Got The Time?, Antisocial,…) als auch Songs vom neuen Album For All Kings (z.B. Evil Twin). Erbarmungslos kracht ein Anthrax-Song nach dem anderen durch das Stadion. Leider ist nach 50 Minuten schon Schluss. Aber die Band kann mit dem Gig zufrieden sein, denn das Publikum ist es allemal.

Ghost
Ghost ziehen ihr Ding durch…auf UND auch neben der Bühne. Dort kann man sie nämlich beobachten und zusehen, wie sie sich auf die anstehende Show vorbereiten. Die fünf Nameless Ghouls und ihr Papa Emeritus kleiden sich nicht nur entsprechend, sie gehen und agieren auch auf ihre Weise „religilös“. Sogar ihre Techniker und das wie das Management aussehende Personal sieht aus, als wäre es gerade aus einem Gottesdienst gekommen (Sic!). Obwohl der Auftritt von Ghost wie immer sehr theatralisch und ambitioniert ausfällt, wirkt er im großen Rund des Olympiastadions etwas dünn.

Slayer
Schon für den Auftritt von Slayer wird eine Unwetterwarnung veröffentlicht. So sind auch die besorgten Blicke von Tom Araya zu erklären, die ein ums andere Mal gen Himmel gehen. Aber letztlich bleibt die Band verschont und das Publikum kann trocken den Auftritt der Thrash-Legende verfolgen. Dabei soll es aber nicht bleiben. Doch dazu später mehr. Slayer brügeln ihre Klassiker auf die Zuschauer ein und alleine vier der dreizehn gespielten Songs stammen vom Überalbum „Reign In Blood“. Auch die Nackenbrecher „Hell Awaits“ und „South Of Heaven“ fehlen nicht in der Setlist und auch wenn der Himmel während des 60 minütigen Auftritts geschlossen bleibt, kann man in jedem Fall von einem ordentlichen Thrash-Gewitter aller erste Güte sprechen.

Sabaton
Sabaton hatten Pech, Sabaton hatten richtig Pech. Während ihres Auftritts und NUR während ihres Auftritts öffnete der Himmel seine Schleusen…und wie. Endzeitstimmung. Aber, Sabaton wären nicht Sabaton, hätten sie nicht eine Unmenge an Pyros und Feuer im Gepäck. Und davon so viel, dass jeglicher Regen verdampft, bevor er auch nur in die Nähe der Bühne kommen kann. Auch die Zuschauer lassen sich von dem heftigen Regen nicht die Laune verderben und brüllen Sänger Joakim Brodén ein ums andere Mal „Noch ein Bier, noch ein Bier“ entgegen. Dieser lässt sich nicht lange bitten und schenkt mehrfach nach. Man merkt der Band eine enorme Spielfreude an und am Ende wird es ein triumphaler Siegeszug, der nur noch von einer Band getoppt werden kann: Iron Maiden.

Iron Maiden
Iron Maiden ist Iron Maiden ist Iron Maiden. Punkt! Diese kleine Anlehnung an Gertrude Stein’s Gedicht „Sacred Emily“ können wir uns in dem Zusammenhang nicht verkneifen. Maiden ist eine Konstante, Maiden ist eine Institution. Hier, dort und überall. Punkt! Es ist müßig über die Setlist oder einzelne Songs zu schreiben. Zu jedem einzelnen Song wurden tausende Berichte verfasst. Nur so viel: die Setlist stellte eine gute und ausgewogene Mischung aus alten und neuen Tracks dar. Punkt! Klar können nicht alle Klassiker gespielt werden, auch die neue Scheibe will und soll promotet werden. Und dadurch fallen ein, zwei, drei Megahits hinten runter. Aber was soll’s, die hat man eh schon x Male gehört und live gesehen. Das Wichtigste ist, dass es dem Publikum Spaß macht. Und das hat es. Definitiv. Die Arena und die Ränge sind fast vollständig gefüllt und am Ende verlassen alle mit überaus glücklichen Gesichtern das Gelände. Einen fetteren Abschluss der drei Tage hätte man sich nicht wünschen können. Die Band zeigt was für Ihre Gage. Macht’s gut Iron Maiden. Gute Reise in Eurer Boeing 747-400 und kommt gut ans nächste Ziel. Bis zum nächsten Mal.

Sound
Der Sound war das ganze Wochenende über laut (so wie sich das gehört), druckvoll (wie man es sich wünscht) dabei aber glasklar (wie es das Ohr sich wünscht). ? Zumindest trifft das auf die Doppelbühnen im Stadion zu. Der Sound auf der Seebühne ist ähnlich zu beurteilen, hätte aber durchaus auch lauter sein können…nein, müssen. Vielleicht war der Veranstalter da aber auch an Auflagen gebunden. Alles in allem konnte man am Sound NICHTS bemängeln, ganz im Gegenteil.

Verpflegung
Im Prinzip war auf dem Rockavaria alles zu finden, was das Herz und die Geschmacksnerven begehren: Brat- & Currywurst, Pommes, Pizza, Asia-Food, Burger, HotDogs und Döner. Allerdings ließ die Qualität der Speisen bei manchen (aber nicht bei allen) der o.g. Kategorien etwas zu wünschen übrig. Oder, um es anders auszudrücken: die Preise waren für die gelieferte Qualität zu hoch. Auch beim Bier musste man (aus unserer Sicht) etwas zu tief in die Tasche greifen. Aber, unseres Wissens nach hat der Veranstalter des Rockavaria keinen Einfluss auf diese Umstände, da mit Arena One der Hospitality Partner und damit der Verpflegungslieferant des Olympiaparks quasi feststeht.

Organisation
Was schon am ersten Tag deutlich wurde, hat sich während des kompletten Wochenendes bis zur letzten Minute bestätigt. Die gesamte Organisation war für unser Empfinden nahezu perfekt. Jeder eingesetzte Mitarbeiter und alle beteiligten Gewerke wussten in jeder Situation was zu tun war und für welche Aufgaben sie eingesetzt waren. Vor und hinter den Bühnen saß jeder Handgriff. Natürlich haben wir nicht jedes Detail mitbekommen, aber als Besucher soll man das ja auch nicht. Und aus DER Sicht kann man nur alle verfügbaren Daumen in die Luft strecken.

Besonders hervorzuheben war an dieser Stelle das Sicherheitskonzept der Veranstaltung und des Veranstalters. Es wurde wegen des drohenden Unwetters am Sonntag sogar ein eigener „Wetterfrosch“ engagiert, der das Live-Wetter zu jeder Sekunde im Auge hatte. Und als eben dieses Unwetter auf den Olympiapark zu stoßen drohte, war man vorbereitet. Das Krisenmanagement des Rockavaria war sozusagen wasserdicht. Die Zuschauer wurden ausführlich über die Situation informiert bzw. gewarnt und aufgrund des einsetzenden heftigen Regens durfte man sogar als Nichtbesitzers einer Tribünenkarte eben diese schützend aufsuchen. Großes Lob dafür!

Fazit
Alles in allem kann man von einem sehr gelungenen Festival sprechen, bei dem besonders die äußerst entspannte Atmosphäre hervorzuheben ist. Mit insgesamt 38.500 Zuschauern konnte die Prognose des Veranstalters sogar leicht übertroffen werden. Unser Wunsch aus dem Vorbericht ist aller Voraussicht nach in Erfüllung gegangen: Das Rockavaria scheint sich als ernstzunehmende Größe im Open Air-Sommer etabliert zu haben. Das zumindest lässt sich aus der Aussage ableiten, dass die Planungen für 2017 bereits angelaufen sind.